Meine Großmutter erzählt

Ein Beitrag zum Projekt „Gegen das Vergessen“ – Teil 5

Wenn man in Ostdeutschland noch vor 1989 aufgewachsen ist, so ist man in der Schule oft mit dem Thema „2. Weltkrieg“ konfrontiert worden. Und das nicht nur in den verschiedenen Unterrichtsfächern. Nein, auch an Nachmittagen gab es Veranstaltungen zum Thema. So wurden beispielsweise immer mal wieder Menschen eingeladen, die aus eigener Erfahrung von dieser Zeit berichteten. Das war schon interessant und die meisten waren auch sehr nett.

Und trotzdem: wenn jemand aus der Familie über diese Zeit erzählt, dann hat das immer noch einmal eine ganz andere Wirkung. Und so war es uns manchmal in der Schule zu viel, aber zu Hause befragten wir dann doch unsere Großeltern.

Und so möchte ich heute versuchen, die Erzählstücke, die ich von meiner Oma (die Mutter meiner Mutter) gehört habe, wiederzugeben.

„Warum willst Du nur immer vom Krieg hören? Sei froh, dass Du keinen Krieg miterleben musst.

Naja, es war nicht ganz einfach mit den vier Kindern. Zuerst waren es ja nur drei. Aber nachdem Dein Opa auf Fronturlaub war, waren es dann vier. Es war gut, dass wir auf dem Dorf lebten. So hatten wir meist genug zu essen. Wir haben im Garten viel angebaut. Damals war der Garten ja noch viel größer.

Und zum Ende des Krieges hin, als es in der Stadt ganz schwierig zum Leben war, da kam Tante E. (die Schwester meiner Oma) und lebte mit ihren zwei Kindern bei uns. Onkel K. (ihr Mann) war dann ja auch wieder da. Er hatte diese Verletzung am Bein und musste nicht wieder zurück zur Front.“

Ja, ich erinnere mich noch, dass Onkel K. uns seine (verheilte) Verwundung gezeigt hat. Es war ein Durchschuss am Oberschenkel. Es war alles vernarbt, aber man konnte genau den Weg der Kugel fühlen.

Ich wollte natürlich auch wissen, ob sie Angst vor den Russen gehabt hätten, auch wenn das nach DDR-Wissen nicht opportun war.

„Natürlich. Es gab so viele schlimme Erzählungen. Wir haben zum Beispiel das bessere Geschirr und auch Schmuck und andere Wertgegenstände im Garten vergraben, damit sie es nicht finden und uns wegnehmen würden.“

Ach, deswegen gibt es so viele Porzellanscherben, wenn wir im Garten umgraben?

„Ja, alles haben wir nicht wiedergefunden.“

Und kamen die Russen? Wie war es?

„Sie kamen. — Aber Deine Tanten und Deine Mutter waren noch zu klein. —“

Das war schon viel, was sie zu diesem Thema sagte. Normalerweise verstand sie es, das Thema geschickt zu umgehen.

Und nach dem Krieg? Hattet Ihr da genug zu essen? Wie ging es weiter?

„Es kamen viele Flüchtlinge. Und jede Familie musste welche aufnehmen. Aber da ja schon Tante E. mit ihrer Familie bei uns wohnten, mussten wir keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Dein Opa war in norwegischer Kriegsgefangenschaft. Von dort konnte er recht schnell Bescheid sagen, dass er noch lebt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er wieder nach Hause kommen würde. Manchmal hat er sogar ein Päckchen geschickt – mit ein bisschen Kaffee.“

Und die anderen Männer? Wann sind sie zurückgekommen?

„Viele Männer sind gar nicht zurückgekommen. Viele Frauen wussten lange nicht, ob ihre Männer noch am Leben waren. Sie gingen dann zu einer Zigeunerin im Dorf und ließen sich wahrsagen, ob ihre Männer zurückkommen. So ein Humbug! Die hat nur viel Geld damit verdient. Und dann sind die Männer doch nicht nach Hause gekommen.“

Ist hier auch bombardiert worden?

„Nein. Dazu war unser Dorf wohl zu klein und zu unbedeutend. Aber in der Nacht vom 13.2.1945 sahen wir einen glutroten Himmel. Erst später haben wir erfahren, dass in dieser Nacht Dresden bombardiert wurde. Es muss furchtbar gewesen für die Leute dort. Selbst wir hatten schreckliche Angst. Und es sind etwa 100 km bis Dresden.“

Und wie ging es dann für Euch weiter?

„Nun, als Opa wieder zu Hause war, hat er versucht, sein Geschäft weiterzuführen. Als Elektriker gab es viel zu tun. Viel war zerstört. Nebenbei hat er angefangen, Fahrräder zu reparieren. Auch dafür gab es großen Bedarf. Und ich konnte ihm dabei helfen.“

„Ja, so war das“ – beendete meine Großmutter solche Gespräche meist und ihr Blick verlor sich in der Ferne.

Die Beiträge weiterer Teilnehmer an diesem Projekt findet Ihr im Menü unter dem Punkt Projekt „Gegen das Vergessen“. Danke für Eure Teilnahme. Jeder Beitrag zählt. Jeder kann mitmachen!

Wir sehen und auf dem Weg.
Let’s go!
Belana Hermine

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Eigene Beiträge

Teil 4- Wir Wunderkinder
Teil 3- Puzzle-Teile – Erinnerungsfetzen
Teil 2 – Rosa
Teil 1 – Gegen das Vergessen

54 Gedanken zu “Meine Großmutter erzählt

  1. Liebe Belana Hermine,
    endlich habe ich Deinen Beitrag gefunden (auf dem Smartphone ging das wieder einmal nicht – am PC ist es leichter).
    Genau diese Geschichten sind es, die wir immer weiter überliefern sollten. Ich glaube nicht, dass es eines Tages mal niemanden mehr interessiert. Natürlich gehört Intelligenz und Empathie dazu, sich diesen Geschichten öffnen zu können. Doch gerade an der Teilnahme zu diesem Projekt sehr junger Menschen sieht man deutlich: Es ist möglich.

    Für Deinen sehr berührenden Beitrag danke ich Dir und setze den Beitrag bei mir überall als Link sowie schicke „kulturnews“ den Link.

    Herzliche Grüße

    Sylvia

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  2. Viele aus jener Generation schweigen lieber. Verständlich, denn viele haben viel Übles selber erlebt. Das schmerzt. Aber manchmal wäre es besser, sie würden erzählen. Geschichte, die vergessen und versteckt wird, ist gezwungen zu wiederholen.

    Mir zB gefallen die Bücher von Tante Lina gut, nicht nur weil es viele Rezepte gibt, sondern auch, weil vieles aus der damaligen Zeit drin steht. Wer sich für jene Epoche interessiert, der kann da sehr viel lernen und erfahren.
    Tante Linas Kriegsküche und Tante Linas Nachkriegsküche

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    • Liebe Ronja,
      ganz herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Ja, es ist sicher schwierig, auch über die schmerzvollen Erinnerungen zu sprechen. Aber es gibt ja auch das beredte Schweigen.
      Lieben Dank auch für Deinen Lesetipp.
      Liebe Grüße
      Belana Hermine

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      • Meine Oma ist vor kurzem gestorben, sie war selber Geburtsjahr 1930 und hat im später russisch besetzten Teil gelebt. Aber sie hat nie etwas davon erzählt. Sie schwieg genau wie alle anderen um mich herum.

        Die Kochbücher hab ich zu Hause – und ich liebe sie wegen der tollen Rezepte. Sie sind es echt wert. Vor allem die wirklich herrlichen Anekdoten darin.

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      • Oh, das tut mir sehr leid. Es ist bestimmt nicht einfach, an diese Zeit erinnert zu werden. Und von allein wird sicher auch keiner etwas erzählen. Man will die Anderen dann auch nicht belasten. Aber ich wünsche ihr sehr, dass sie dann später doch noch zu einem glücklichen Leben finden konnte.

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      • Danke, allerdings realistisch betrachtet … sie war alt, hatte ein langes Leben und zuletzt nur noch Schmerzen. Für sie war es eine Erlösung. Und ich glaube an Wiedergeburt. Als guter Mensch (wie ich sie erlebte), wird sie etwas Gutes bekommen. Für mich war sie immer der Fels, zu dem ich in schweren Zeiten gehen konnte.

        Nein, einfach ist es sicher nicht. Ich habe allerdings inzwischen wirklich viel über die damalige Zeit gelesen (Zeitzeugenberichte, History-Channel und Co). Darum finde ich die Lina Bücher gut – denn sie sind realistisch.

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      • Das werde ich mit Sicherheit. Sie hat mich vieles gelehrt – vor allem das Wissen, dass da jemand ist, dem man sich in Nöten anvertrauen kann…. was will ein Kind mehr?

        Aber ja, du hast da ganz recht. darum danke für deinen Beitrag – er hat mich nur einfach dran erinnert, wie liebevoll sie immer zu mir war.

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      • Das ist doch Sinn unserer Blogs – Anregungen für Andere zu geben. Und ich freue mich natürlich, wenn das hin und wieder gelingt.
        Ja, ich habe meiner Großmutter sehr viel zu verdanken. Schön, wenn wir uns liebevoll an unsere Großmütter erinnern können. Sie werden es wissen/spüren.

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      • Ganz bestimmt sogar.
        Du kannst übrigens ein kleines Ritual ausüben, das in manchen Gegenden früher gern genutzt wurde….
        Ob es was bringt – musst du dir selber beantworten. Aber wenn du mal das Gefühl hast, du vermisst sie sehr – koch das, was sie gern gegessen hat und „lade sie ein mit dir zu essen“. Stell ihr einen kleinen Teller mit etwas davon beiseite und ins Freie.

        Ich glaub das haben sie in den Alpen früher gern gemacht – aber es gibt einem das Gefühl, nicht allein zu sein.

        nur so als Gedanke 🙂

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      • Gerne. Manche alten Rituale haben schon einen guten Grund, warum sie gemacht werden – und manchmal vergessen. In alten Sagen wird das manchmal erwähnt.
        Probier es einfach mal aus, wenn du das Gefühl hast, sie sei da oder du willst dir einfach nur was von der Seele reden.
        Vielleicht verrätst du mir dann wie es sich für dich angefühlt hat. – aber nur, wenn du möchtest.

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