Als ich zehn war – Teil 2

Lutz Prauser hat zu einer Blogparade aufgerufen/eingeladen: „Als ich zehn war“. Diese Zeit ist echt schon eine Weile her, aber das Nachdenken darüber, wie es wohl damals gewesen ist, hat doch einige Erinnerungen wach gerufen. Deshalb möchte ich mich an der Blogparade beteiligen. Das Ganze werde ich über die mehrere Samstage verteilen, sodass es nicht einmal ein riesengroßer Brocken ist. Heute also Teil 2 „Die Welt zu Hause“.

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Wir wohnten in einem Neubau der 1960er Jahre. Es waren Häuser mit 4 Etagen mit jeweils 2 Wohnungen auf jeder Etage und 3 oder 4 Aufgängen. Zwischen den Häusern waren kleine Spielbereiche mit Sandkasten, Schaukel, Klettergerüst und Gestelle zum Ziehen von Wäscheleinen.

Es war ein sogenannter Erstbezug. Mein Vater arbeitete im nahegelegenen Braunkohlekraftwerk. Der Bau der Häuser war wohl vom Kraftwerk initiiert worden. Es wohnten dort etliche direkte Kollegen meines Vaters und viele andere Mieter arbeiteten ebenfalls im Kraftwerk.

Die Wohnung war eine zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Es gab ein kleines Bad, eine kleine Küche, ein etwas größeres Wohnzimmer, ein Elternschlafzimmer und ein kleines Kinderzimmer, das ich mir mit meiner Schwester geteilt habe. Damit waren wir „endversorgt“, denn man ging davon aus, dass sich zwei Schwestern ein kleines Kinderzimmer teilen können. Da sich die damalige Regierung zum Ziel gesetzt hatte, das Wohnungsproblem zu lösen, gab es Festlegungen, wann jemand kein Wohnungsproblem mehr hatte.

Das Kinderzimmer war allerdings so klein, dass wir zwei Klappbetten hatten, damit man sich am Tage überhaupt in dem Raum bewegen konnte. Es gab auch nur Platz für einen Schreibtisch. Meine Schwester bekam ihren Arbeitsplatz deshalb im Elternschlafzimmer eingerichtet.

Natürlich musste aber auch im Elternschlafzimmer eine sinnvolle Platzaufteilung gefunden werden. Die Betten der Eltern standen über Eck – auf eine weitergehende Interpretation verzichte ich an dieser Stelle. So war in der Mitte des Raumes etwas Platz für einen Tisch. Hier standen je nach gerade laufenden Handarbeitsprojekten meiner Mutter eine Nähmaschine oder eine Strickmaschine oder es lagen Mal- oder andere Bastelutensilien darauf.

Im Wohnzimmer stand auf der einen Seite ein Esstisch. Auf der anderen Seite gab es eine Couch, einen Couchtisch und zwei Sessel. Von der Couch aus konnte man DDR-Fernsehen in schwarz-weiß erleben. Ja, ich meine, dass es damals vorerst nur ein Programm gab. Geguckt werden durfte nur nach vorheriger Planung und Genehmigung durch unsere Mutter. Interessanterweise trauten wir uns auch nicht in ihrer Abwesenheit, den Fernseher anzuschalten.

Das Bad war total vollgestellt. Es gab einen kleine Gang, damit man alles erreichen konnte. Aber ich würde mal behaupten, dass Erwachsene die Knie einziehen mussten, wenn sie auf der Toilette saßen, wenn sie nicht die Waschmaschine einbeulen wollten. Um zusätzliche Ablagefläche zu schaffen, lag eine große Holzplatte auf der Badewanne. Wenn man baden wollte, musste also erstmal alles heruntergeräumt und die Platte zur Seite gestellt werden. Vielleicht ein Grund, warum nur einmal in der Woche gebadet wurde. Sonst wurde sich am/im Waschbecken gewaschen.

Das Prägnanteste, was mir aus der Küche in Erinnerung geblieben ist, sind eigentlich die offen herumstehenden Medikamente meiner Mutter. Möglicherweise, weil man das heutzutage als total fahrlässig bezeichnen würde. Aber vielleicht auch, weil es mir ein paar Erklärungen für Dinge liefert, die sich hin und wieder ereignet haben. Da gab es einerseits Medikamente, um den Blutdruck zu erhöhen. Die zweite Sorte Medikamente waren starke Beruhigungsmittel wie z. B. Rudotel.

Eigentlich ist mir mit zehn die Enge der Wohnung gar nicht so aufgefallen. Heute frage ich mich eigentlich, wie wir das hingekriegt haben. Aber normalerweise waren wir sowieso nie lange in der Wohnung. Meine Eltern gingen arbeiten, meine Schwester und ich gingen zur Schule. Morgens ging mein Vater als erster los, dann folgten wir zwei Schwestern. Danach ging meine Mutter. Also eine Art Schichtsystem. Nach der Schule saßen meine Schwester und ich an unseren Schreibtischen. Mein Vater verschwand nach der Arbeit im Keller, entweder um irgendwelche Dinge zu reparieren oder sich mit seinen Basteleien zu befassen. Meine Mutter machte den Haushalt oder war im Schlafzimmer für ihre Basteleien. Einfache Arbeiten im Haushalt wie Staubwischen, Saugen, Geschirrspülen und -abtrocknen hatten wir Schwestern zu erledigen.

Gab es Familienleben? Da müsste man vielleicht mal fragen, was Familienleben eigentlich bedeutet. Ich erinnere mich im Wesentlichen daran, dass jeder mehr oder weniger sein eigenes Ding machte. Natürlich gab es von Seiten der Eltern, insbesondere meiner Mutter, starke Aufsicht hinsichtlich der Schularbeiten. Und gnade uns Gott, wenn das nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ich vermag nicht abzuschätzen, wie viel Papier ich mit den immer wieder selben Texten vollschreiben musste, weil der Rand nicht gerade war, mal ein Buchstabe über die Zeile herausragte, ein i-Tüpfelchen fehlte oder sich doch ein Fehlerteufel eingeschlichen hatte.

Überhaupt duckte man sich besser weg, wenn ihr irgendetwas gegen den Strich ging. Vermutlich war sie mit ihrer eigenen Arbeit, mit dem Haushalt ohne wirkliche Hilfe durch ihren Mann und mit den beiden Kindern einfach überfordert.

Nächste Woche gibt es dann „Die Welt der Schule“.

Wir sehen uns auf dem Weg.
Let’s go!
Belana Hermine

23 Gedanken zu “Als ich zehn war – Teil 2

  1. Danke für deinen sehr persönlichen Einblick – ich finde es sehr interessant zu lesen und fühle mich fast beschämt, in welchem (materiellen) Überfluss ich eigentlich in den 80ern aufwachsen konnte (und worüber ich trotzdem alles jammern musste).

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    • Ein gewisses Maß an Unzufriedenheit kann ja auch anspornend sein.
      Interessant finde ich eher, dass ich es damals gar nicht so einschränkend empfunden habe – eher jetzt im Rückblick.
      Manchmal finde ich es sehr „heilsam“, nach Russland zu fahren. Wenn ich nach Hause zurückkomme, kann ich alles deutlich mehr wertschätzen.

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  2. Toller Beitrag, danke.
    Obwohl das vielerorts auf der Welt auch heute noch so oder ähnlich ist, können wir uns das in „unserer Welt“ kaum mehr vorstellen. Heute ist ja praktisch „normal“, dass jedes Kind sein eigenes Zimmer hat, plus ein Büro, plus ein Spielzimmer, plus ein Hobbyraum, … vielleicht nicht alles, so ungefähr.
    Ich selber wuchs mit fünf Geschwistern in einer 5 1/2 Zimmer Wohnung auf. Auch wir „mussten“ uns die Zimmer teilen, hatte aber ansonsten sehr viel Platz. Wir hatten ein grosses (auch für heutige Verhältnisse) Wohnzimmer und wohnten Parterre, so dass wir direkt im Garten und auf dem Spielplatz waren. Ich sage immer, wir hatten Einfamilienhaus-Qualitäten in einer Mehrfamilienhaus-Wohnung 🙂
    Ich freue mich schon auf deinen schulischen Beitrag 😉
    Lg Stefan

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    • Lieber Stefan,
      herzlichen Dank für Dein nettes und ausführliches Feedback.
      Ein Zimmer zu teilen ist ja nicht von vornherein eine schlechte Sache. Und letztlich arrangiert man sich eben auch mit den Zuständen.
      Natürlich hast Du völlig recht, dass das auch heute noch für viele die alltägliche Realität ist – ich denke, auch in Deutschland oder der Schweiz. Und man sollte auch nicht vergessen, dass es „noch schlimmer“ geht. Ich bin hin und wieder in Russland. Dort leben zum Teil ganze Familien in einer Einraumwohnung. Da schläft das Kind/schlafen die Kinder hinter einem Vorhang, während die Eltern fernsehen oder sich anderweitig vergnügen…
      Ja, uns geht es echt gut, auch wenn wir es manchmal als ganz fürchterlich erleben.
      Liebe Grüße
      Belana Hermine

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    • Die Anpassungs- und Ertragensfähigkeiten von Kindern sind schon enorm. Ja, das ist gut so. Allerdings graben sich so auch manche Dinge ein, die lange, lange nachwirken, aber eben nicht entdeckt werden, weil sie so eingegraben sind. Aber man hat ja ein lebenlang Zeit, sie wieder auszugraben und ihre Wirkung zu durchbrechen. Es ist nie zu spät und immer hilfreich/entlastend.
      Herzliche Grüße
      Belana Hermine
      PS: Ich habe mich sehr gefreut, von Dir zu hören – und dann gleich so viel 🙂

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    • Mir ist zwischenzeitlich aufgefallen, dass Du in Deinem Kommentar vielleicht etwas ganz Anderes gemeint hast – nämlich eine anders-Bewertung z. B. der räumlichen Umstände. Auch da gebe ich Dir völlig recht. Wir ändern uns, die Umgebung ändert sich, die gesellschaftlichen „Ansprüche“ ändern sich. Ich gebe gern zu, dass ich auf so engem Raum nicht mehr leben möchte. Aber ein Erinnern hilft mir, das, was ich derzeit genießen darf, mehr wertzuschätzen.

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