Ich habe lange nichts „Sinnvolles“ (also Geschichte, Gedichte oder sowas halt) geschrieben. Und auch die Schreibgruppe habe ich deutlich vernachlässigt. Es ist nicht unbedingt ein Neujahrsvorhaben, aber irgendwie möchte ich doch wieder dahin zurückkehren. Als erster Ansatz hier eine Aufgabe, die schon sehr, sehr lange zurückliegt, die aber doch auch ein bisschen in diese Zeit passt.
Die Aufgabe
Es sollte eine Szene aus dem Leben erzählerisch gestaltet werden.
Was fiel mir schwer?
So recht wusste ich nicht, welche Szene ich auswählen sollte. Was würde wohl einerseits für eine/n Leser/in interessant sein und sich andererseits zu einer Geschichte verarbeiten lassen? Als mir etwas eingefallen war, musste es in der „Zeitgeschichte“ verankert werden. Hier ließ der Einfall doch eine Weile auf sich warten. Und dann überlegte ich, ob ich so eine Geschichte wirklich in den Blog stellen kann. Nun gut, es ist eine erzählerisch gestaltete Szene, die natürlich auch immer von der künstlerischen Freiheit lebt. Also, dann…
Was habe ich gelernt?
So recht weiß ich nicht mehr, ob bzw. was ich beim Schreiben gelernt habe. Vielleicht das: das, was man als Schreiberling ausdrückt oder versucht, in den Text zu legen, muss nicht immer so beim Leser/bei der Leserin ankommen.
Das Ergebnis
Entsprechend waren die Kommentare der Korrektur. Es gibt zu wenig Gefühl. Aber was, wenn absichtlich zu wenig Gefühl drin ist, um eben eine kalte Atmosphäre auszudrücken? Das hat dann also nicht so wirklich geklappt.
Ein Wunder roher Naturgewalten
Die DDR geht bereits mit großen Veränderungen schwanger. Für sie wird es aber noch etwa anderthalb Jahre dauern. Ich hätte schon vor zwei Wochen entbinden sollen. Trotzdem quetsche ich mich, meinen dicken Bauch vor mir her schiebend, in die Sitzreihe im Hörsaal. Ich will die Vorlesungen so lange besuchen, wie es eben geht.
Am Nachmittag muss ich zur Schwangerenberatung. Die Hebamme freut sich. „Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Die Gebärmutter hat sich schon gesenkt.“ Das wird wohl auch langsam Zeit.
Heute Nacht schläft mein Mann mit im Wohnheimzimmer. Erst vor zwei Wochen bin ich aus dem 8-Bett-Zimmer in dieses 2-Bett- bzw. Familienzimmer umgezogen. Alles ist vorbereitet. Der neue Erdenbürger kann kommen.
Nach zwei Stunden Schlaf werde ich gegen Mitternacht wach und muss zur Toilette. Nicht unüblich in den letzten Wochen. Nach einer weiteren Stunde muss ich schon wieder. Das kommt mir doch ein wenig komisch vor und ich verstehe, dass das erste Anzeichen von Wehen sein könnten. Ich wecke meinen Mann. „Möchtest du heute Vater werden?“ Er springt panisch von der oberen Etage des Doppelstockbetts herunter. „Soll ich den Krankenwagen rufen? Wo ist denn die Tasche? Hast du alles?“, sprudelt es aufgedreht aus ihm heraus. Ein chaotischer Ehemann hat mir jetzt gerade noch gefehlt. „Nee, warte mal noch. Vielleicht habe ich mich geirrt.“ Eher nicht, denn nach 20 Minuten zieht es schon wieder, dann wieder nach 15 Minuten. Mein Mann ruft den Krankenwagen. Bis der da ist, kommen die Wehen alle zehn Minuten.
„In welches Krankenhaus müssen Sie denn?“
„Neustadt.“
„Oh, tut mir leid. Wegen des Hochwassers steht der Kreißsaal unter Wasser. Ich schaue mal, wo ich Sie hinbringe.“
Ich muss in die Altstadt. Na prima. Meine ganzen Unterlagen sind in Neustadt.
Gegen zwei Uhr kommen wir im Krankenhaus an. Die diensthabende Hebamme empfängt mich. Mein Mann gibt die Sachen ab. Wir verabschieden uns. Auch wenn die ersten Entbindungen mit Vätern stattfinden, hatten wir uns dagegen entschieden. Durch den unregelmäßigen Dienst meines Mannes war es unklar, ob er wirklich hätte dabei sein können. Außerdem lagen die Vorbereitungstermine in seiner Dienstzeit.
Die Aussage, dass die Wehen alle zehn Minuten kommen, scheint die Hebamme nicht ernst zu nehmen. Offensichtlich sehe ich ihr dafür zu munter aus. Dass der Muttermund schon zehn Zentimeter geöffnet ist, überzeugt sie dann wohl doch. „Leider können Sie nicht baden, denn wir haben nur kaltes Wasser.“ Nach einem kalten Bad ist mir nun wirklich nicht. Es reicht, dass der Einlauf mit kaltem Wasser gemacht wird. Davor hatte ich mich in gewisser Weise gefürchtet. Ich hatte so viele schlimme Dinge davon gehört. Aber letztlich war es kein wirkliches Problem.
Es ist drei Uhr. Ich soll ein wenig auf dem Gang auf und ab gehen. Und so stehe ich, hochschwanger, mitten in der Nacht mit heftigen Schmerzen alle zehn Minuten auf einem langen, dunklen, einsamen Krankenhausflur, auf mich allein gestellt und weiß nicht, was noch so auf mich zukommt. Aber Bewegung soll ja gut sein. Also marschiere ich den Gang auf und wieder ab, auf und wieder ab. An der Tür zum Kreißsaal steht ein kleines Tischchen. Bei jeder Wehe stütze ich mich dort ab, bis sie über mich hinweggerollt ist. Sie kommen nun alle fünf Minuten. Irgendwann ist meine Kraft zu Ende. Vielleicht sind auch nur meine Geduld oder Leidensfähigkeit zu Ende. Ich weiß nicht, wie lange ich hier gehen soll. Ich weiß nicht, wie schlimm es noch werden wird. Ich weiß nicht, was Anzeichen dafür sind, dass ich endlich in den Kreißsaal sollte. Also klingle ich. Eine andere Hebamme steckt ihren Kopf heraus. „Ich weiß zwar nicht, was noch alles so passieren wird, aber ich kann nicht mehr“, stöhne ich vor ihr hin. Sie leitet mich zu einer Liege.
Eine Frau liegt bereits auf einer anderen Liege. ‚Oh nein, lass sie bitte nicht vor mir entbinden‘, schießt es mir durch den Kopf. Ich glaube, ich ertrage es nicht, das bei jemand Anderem anzuhören und es selbst noch vor mir zu haben.
Die Wehen werden heftiger. Ich hatte gehört, dass man bei einer Erstgeburt durchaus mit zwölf Stunden rechnen kann. Die ersten Anzeichen kamen um Mitternacht. Jetzt ist es vier Uhr. Also noch acht Stunden, wenn es gut läuft. Das halte ich nicht aus.
Die Fruchtblase wird gesprengt. Ich spüre, wie sich ein Schwall warmer Flüssigkeit zwischen meinen Beinen ergießt. Eine Sonde wird an den Kopf des Kindes angebracht. Das ist unangenehm. Aber nun steht das Baby unter Bewachung und es wird hoffentlich nichts schief gehen.
„Wissen Sie denn, was es wird?“, will die Hebamme wissen.
„Nein. Ist auch egal. Hauptsache gesund und munter.“
Schon ist sie wieder weg.
Die Wehen kommen jetzt in deutlich kürzeren Abständen und werden immer schmerzhafter. Ich erinnere mich an die Hechelatmung aus dem Geburtsvorbereitungskurs und versuche es damit. Die unwirsche Hebamme von der Vorbereitung fährt mich an: „Atmen Sie vernünftig. Das ist auch für das Kleine Schwerstarbeit.“ Aber wie ich nun atmen soll, verrät sie mir nicht.
Es ist 5:30. Die nette Hebamme schaut nach mir. Eine andere Schwester fragt sie, ob sie es wohl noch schaffen – vermutlich bis zum Ende der Nachtschicht. Die Hebamme bejaht. „Ich gebe Ihnen jetzt etwas, damit Sie es leichter haben.“ Aber was sie mir gibt, erfahre ich nicht. Ich bin zu beschäftigt, um nachzufragen.
Nun geht alles ganz schnell. Die Wehen kommen fast unmittelbar hintereinander. Ich habe das Gefühl zu zerreißen. Alles unterhalb der Körpermitte drängt nach unten, alles darüber nach oben. Ich kann gar nicht mehr atmen, das Ein und Aus will einfach nicht klappen. Ich werde wohl ersticken. Da stellt sich die nette Hebamme neben mich, reibt mir den Rücken und atmet deutlich hörbar. Ich mache es einfach nach. Siehe da, ich bekomme wieder Luft. Nach einer Wehe kann ich schon das Köpfchen sehen. Da sind ganz viele Haare. Plötzlich bekomme ich einen Krampf im linken Fuß. Ich will ihn fassen, um den Krampf zu vertreiben, da schwappt die nächste Wehe über mich hinweg. Der Krampf ist vergessen. Eine dicke Masse rutscht aus mir heraus, liegt zwischen meinen Beinen und fängt direkt an zu schreien. Da liegt mein Baby. Ganz blau und zerknautscht und schreit und schreit. Willkommen auf dieser Welt, Kleines. Es ist 5:55.
Die Hebamme drückt mich zurück. „Ich brauche noch die Nachgeburt.“ Aber ich möchte das Kleine doch anschauen. Vor lauter Staunen weiß ich noch gar nicht, ob ich nun eine Tochter oder einen Sohn habe.
Die Schwestern bringen das Kleine in einen anderen Raum, um die erforderlichen Untersuchungen durchzuführen. Dann bekomme ich das Kleine in den Arm gelegt. „Es ist ein Junge und erstmal alles dran, was man so sieht.“ Die nette Hebamme lächelt mir zu. Wir haben es gemeinsam geschafft.
„Werde ein glücklicher und aufrichtiger Mensch, mein Süßer. All meine Liebe wird dich begleiten. Komm, lass uns kuscheln“, flüstere ich dem Bündel in meinem Arm ins Ohr und drücke ihm einen sanften Kuss auf die Wange.
Wir sehen uns auf dem Weg.
Let’s go!
Belana Hermine
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